„Heimspiel“ von Wolfram Weimer

1. Mai 2012 1 Von Patrick
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"Heimspiel" von Wolfram WeimerDie Kanzlerin hat die Republik im Griff – denkt sie. Alternativlos dirigiert sie aus den Konferenzrunden im Kanzleramt das Land – denken die anderen. Doch plötzlich bringt eine politische Sensation die scheinbar so stabile Machtarchitektur ins Wanken; die CSU verkündet einen eigenwilligen Vorstoß: Deutschland brauche wieder einen Kaiser. Und zwar den Kaiser. Die Lichtgestalt des deutschen Fußballs, Franz Beckenbauer, soll für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren.

Die Überraschung ist perfekt, die Medien überschlagen sich und stellen den Politikbetrieb für Monate auf den Kopf. Eine Kettenreaktion aus Intrigen, PR- und Machtspielen kommt in Gang. Die Kanzlerin nimmt heimlich Nachhilfe in Sachen Fußball und wagt den ganz großen Konter. Die grotesken Geschehnisse werden zur beißenden Entlarvung des Politikbetriebs, der im Schatten der Finanzkrise die Fratze einer tiefergreifenden Demokratie- und Kulturkrise zeigt. Noch ehe die Europameisterschaft beginnt, nimmt eine witzige Realsatire auf die Zustände der Berliner Republik, getrieben vom wilden Drang nach öffentlicher Aufmerksamkeit, ihren Lauf …

Satire und Fußball sind zwei Dinge, die man sicherlich nicht sofort mit ihm verbindet, wenn man seinen Namen hört. Journalistisch bewegte sich Dr. Wolfram Weimer von jeher in den Themengebieten Wirtschaft und Politik. Über verschiedene freie Tätigkeiten bei Lokalzeitungen und Tageblättern steuerte der heute 47-Jährige über die Zwischenstationen dpa und FAZ recht bald auf die Chefredaktionen der Welt, der Berliner Morgenpost und des Focus zu. 2003 gründete er das Wirtschaftsmagazin Cicero. 2011 legte er den Chefposten beim Focus nieder. 2012 kaufte er eine Reihe von Wirtschaftsmedien, darunter die Börse am Sonntag. Und doch schafft Weimer ohne Probleme und – vielleicht gerade aufgrund seiner Vita – mit viel Polemik den Sprung in den Sport. Den Beweis erbringt er mit seiner „alternativlose[n] Realsatire“, die er passenderweise Heimspiel nannte.

Weimer erzählt die Geschichte von Bundeskanzlerin Angela Merkel, wie sie sich hätte 2006, kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land, hätte abspielen können. Völlig unvorbereitet wird die Staatschefin und CDU-Vorsitzende von der Idee der Schwesterpartei CSU überrascht, die deutsche Fußball-Legende Franz Beckenbauer als Kandidaten für den Posten des Bundespräsidenten aufzustellen. Die dadurch los getretene Lawine wälzt sich durch die gesamte politische und mediale Landschaft – mit allen Folgen: Überspitzt und nicht immer mit ganzem Ernst spielt Weimer Szenarien durch, die auf den ersten Blick wie schlecht positionierte Satire wirken, auf den zweiten Blick aber näher an der Realität vorbeischrammen, als einem vielleicht lieb ist.

So unternimmt Merkels Beraterstab alles, um den alternativlosen Kandidaten Beckenbauer als Idee der Kanzlerin zu verkaufen. Die Regierungschefin lernt Begriffe wie Abseits oder Flanke, studiert Fußball-Geschichte bei Günter Netzer und schreckt auch vor schwarz-grünen Koalitionsplänen, Gender-Mainstreaming im Profi-Fußball und sogar einer Exkursion in die Südkurve der Commerzbank-Arena in Frankfurt nicht zurück – ausgerechnet beim Lokalderby gegen Offenbach. Merkel wird Fußball-Kanzlerin und befindet sich auf Augenhöhe mit „Kaiser“ Franz Beckenbauer, der nun ihr eigener Wunschkandidat für den Posten des Bundespräsidenten ist. Doch Politik wäre nicht Politik, wenn es hinter den Kulissen ruhig zulaufen würde. Was folgt sind parteiinterne Intrigen, streikende Koalitionspartner, unethische Medienvertreter und eine Opposition, die das Vorhaben Beckenbauer mit allen Mitteln zu verhindern versucht.

„Heimspiel“ ist bei aller Polemik sehr unterhaltsam und durch die Limitierung auf 128 Seiten auch äußerst kurzweilig. Weimer tritt als neutraler Erzähler zugunsten des Dialoges komplett in den Hintergrund. Die Bühne gehört dem Thema Fußball, das Weimer geschickt in jede Masche seiner Realsatire strickt: Nicht zufällig scheint die Geschichte in zwei gemütlichen Runden von je 45 Minuten lesbar. Die Lesezeit entspricht damit übrigens exakt der Länge einer langweiligen Partie zwischen dem Hamburger SV und Mainz 05 am 33. Spieltag der Bundesliga (freilich zuzüglich einer 15-minütigen Pause sowie einigen wenigen Minuten Verlängerung). Spannender als die genannte sportliche Begegnung sind auch die Dialoge und Gedankengänge der Protagonisten, die – stark verkürzt – in ihrer Anreihung sehr an die Kommentare früherer Fußball-Live-Berichterstatter erinnern: „Schäfer nach innen geflankt. Kopfball. Abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt. Toooor!“ Wieder ein Zufall? Sicher nicht! Falls Sie, Herr Weimer, noch nicht darüber nachgedacht haben: Sportkommentator wäre ein stabiles zweites Standbein!

Fazit: Weimers Realsatire erhebt nicht den Anspruch, große Literatur zu sein. Muss sie auch nicht. Denn für den kurzen Schmunzler zwischendurch lohnt „Heimspiel“ allemal. Kurz und knackig erschafft Weimer ein Paralleluniversum der deutschen Politik, die – gerade für politisch Schaffende – zumindest im äußersten Bereich des Möglichen liegt. Und wenn der fußballverrückte, pfälzische CDU-Politiker Christian Baldauf im August seinen 45. Geburtstag feiert, sollte ausgerechnet diese Lektüre auf keinen Fall auf seinem Geschenketisch fehlen. Nur so als Tipp. [paku]

„Heimspiel“ von Wolfram Weimer
Bastei Lübbe (Quadriga)
128 Seiten
EUR 12,99
ISBN-10: 3869950315
ISBN-13: 978-3869950310