„Die Bücherdiebin“ von Markus Zusak

4. März 2013 2 Von Kadda
Bewertung:

Die BücherdiebinIch könnte so vieles über dieses Buch schreiben. Superlative aneinanderreihen und seitenweise über die Geschichte schwärmen.

Kurzbeschreibung des blanvalet Verlags:

Molching bei München. Hans und Rosa Hubermann nehmen die kleine Liesel Meminger bei sich auf – für eine bescheidene Beihilfe, die ihnen die ersten Kriegsjahre kaum erträglicher macht. Für Liesel jedoch bricht eine Zeit voller Hoffnung, voll schieren Glücks an – in dem Augenblick, als sie zu stehlen beginnt. Anfangs ist es nur ein Buch, das im Schnee liegen geblieben ist. Dann eines, das sie aus dem Feuer rettet.

Eine Diebin zu beherbergen, wäre halb so wild, sind die Zeiten doch ohnehin barbarischer denn je. Doch eines Tages betritt ein jüdischer Faustkämpfer die Küche der Hubermanns …

»Die Bücherdiebin« erzählt von kleinen Freuden, großen Tragödien und der gewaltigen Macht der Worte. Eine der dunkelsten und doch charmantesten Stimmen und eine der nachhaltigsten Geschichten, die in jüngster Zeit zu vernehmen waren.

Um aber die Überraschung nicht zu verderben beschränke ich mich aber auf folgende sechs Punkte.

Sechs Gründe das Buch zu lieben:

  1. Grund: Bücher, die in kleine und noch kleinere Kapitel unterteilt sind, sind toll, weil sie einem das Gefühl geben, man könne es jederzeit weglegen und immer schnell noch ein kleines Kapitel zwischendurch lesen. Für Pendler besonders wichtig. Den Spaß am Lesen versüßen außerdem noch tolle Unterüberschriften und Unterunterüberschriften wie „Eine kurze Bemerkung am Rande – Ihr werdet alle sterben“. So liest man eben doch noch das nächste Kapitel.
  2. Grund:  Martin Zusak hat es sprachlich einfach drauf. Besonders Personifikationen haben es ihm angetan. Wenn ich ein Buch lese und während dem Lesen kleine Ecken ins Buch knicke, weil auf dieser Seite ein ganz besonders tolles Zitat zu finden ist, dann will das schon was heißen. Hier ein paar gesammelte Stilblüten

    „Diese widersprüchliche Natur des Menschen! Ein bisschen gut, ein bisschen böse. Man muss nur einen Schuss Wasser dazugeben und umrühren.“
    „In seinen einsamsten Momenten im Keller häuften sich die Worte um ihn herum auf. Die Bilder strömten und fielen und gelegentlich humpelten sie auch aus seinen Händen.“
    „Auf der Straße waren keine Leute mehr. Da waren nur noch Gerüchte, die Lasten trugen.“

    Und das waren jetzt nur ein paar meiner Ecken-Sätze. Zusak spielt mit der Sprache, ohne abgetroschene Metaphern zu benutzen und das mit ganz viel Zynismus, der von der Übersetzerin Alexandra Ernst ebenso gut im Deutschen eingefangen wurde.

  3. Grund: Die Perspektive aus der die Geschichte erzählt wird, ist eine außergewöhnlich spannende: Der Tod selbst ist der Erzähler. Zusak hat sich damit nicht nur Distanz zu seinen Figuren geschaffen, wie das bei solchen Erzählern, die außerhalb des Geschehens stehen, normalerweise der Fall ist. Der Tod leidet mit den Menschen, philosophiert, ist selbst liebenswert und zärtlich im Umgang mit den einzusammelnden Seelen, aber auch zynisch. Sprachspiele wie der paradoxe Ausdruck „Es bringt mich schier um, wie manche Menschen sterben“ zeigen wie fabelhaft Zusak mit dieser Erzählperspektive umgeht. Der Tod beendet das Buch mit den Worten

    „Ich bin von Menschen verfolgt.“

  4. Grund: Sprachlich genial sind natürlich auch die Charaktere selbst beschrieben. Neben der Hauptfigur, Liesel, ist besonders der Akkordeon-spielende Pflegevater und die fluchende, ordinäre Pflegemutter prägend. Die Schimpfworte „Saumensch“ und „Saukerl“ wirken aus dem Mund von Rosa Hubermann liebevoll und wenn sie nicht mit solchen Ausdrücken um sich wirft, dann weiß ihr Umfeld, dass etwas nicht stimmt. Liesel übernimmt die sauischen Bezeichnungen direkt liebevoll in ihren Sprachgebrauch, besonders im Umgang mit ihrem besten Freund Rudi. Aber nicht nur die Charaktereigenschaften und Angewohnheiten als solche lassen die Personen so authentisch wirken, sondern ihr Aussehen untermalt diese detailgetreu – selbst im Tod:

    „Papas schöne silbrige Augen fingen schon an zu rosten, und Mamas Papplippen waren halb geöffnet festgefroren, in der Form eines unvollendeten Schnarchens.“

  5. Grund: Ein weiteres sprachliches Highlight: Eine riesige Rolle spielen die Farben und im Besonderen die Farben und Symbolik des Wetters und des Himmels. Der Tod beginnt mit der Farbpalette:

    „Wenn ich an sie denke, dann sehen ich eine ganze Palette an Farben, aber es sind die drei, in denen ich sie in Fleisch und Blut erlebte, die mir am deutlichsten vor Augen stehen. Manchmal gelingt es mir, weit über denen drei Momenten zu schweben. Ich hänge fest, bis sich eine eitrige Wahrheit in Erkenntnis erblutet. In diesem Muster sehe ich das Muster. Sie fallen aufeinander. Das schwarze Gekritzel auf das gleißende, kreisrunde Weiß und dann auf das dickflüssige Rot.“

    Farben und Adjektive lassen die Stimmung des Buches tiefer gehen – dominierend dabei einerseits Lebensfreude und auf der anderen Seite die traurige Ungerechtigkeit. Es endet im Epilog mit „Der letzen Farbe“.

  6. Grund: Der wohl wichtigste und entscheidende Grund, das Buch zu lieben, ist die unterschwellige Botschaft: Musik, Lesen und Schreiben –  also, Worte und Noten – lassen den Menschen die noch so beschissenste Zeit überleben. Sie sind in solchen Lebensgeschichten so wichtig wie Brot und Wasser. Auch wenn ich die letzten 30 Seiten mit Heulen verbracht habe (Randnotiz: man sollte das Buch zum Ende hin, nicht mehr in der Bahn oder in der Öffentlichkeit lesen), lässt es den Leser nicht depressiv zurück. Die Hauptfigur, das kleine Mädchen, Liesel muss so viel ertragen. Ihr Leben schreit von Anfang an nach Ungerechtigkeit. Es scheint  immer schlimmer zu werden, wenn sie gerade dabei ist, das vorhergehende Ereignis zu verarbeiten, dennoch verteilt sie Worte.
    Sie nimmt als Bücherdiebin einerseits Buchstaben zum Überleben und verletzt sogar mit Worten:

    „Sie war zerschlagen und zerschmettert, und diesmal nicht wegen eines Lächelns. Liesel sah es in ihrem Gesicht. Blut strömte ihr aus der Nase und leckte an ihren Lippen. Ihre Augen waren Blutergüsse. Haut was aufgeplatzt, sie war geschwollen. Alles wegen der Worte. Liesels Worte.“

    Andererseits verteilt sie als „Worteschüttlerin“ Worte. Sie liest im Luftschutzkeller der Nachbarschaft aus ihren gestohlenen Büchern vor, tröstet, beruhigt und trägt so zum Überleben ihrer Mitmenschen bei.

Fazit: Ein Buch zum Lieben!

„Die Bücherdiebin“ von Markus Zusak
blanvalet Verlag, Originalverlag: Random House US/UK 2007
608 Seiten
EUR 9,95
ISBN: 978-3-442-37395-6